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DVW-«Dä vo Wiedike»

An einem verregneten Oktober Abend mitten unter der Woche finde ich mich gegenüber dem Rapper DVW auf einer Lederpolstergruppe im Wohnzimmer seiner Wiedikoner Genossenschaftswohnung sitzend wieder. Er stopft mir eine Zigarette und ich bereite mich auf das Interview vor. Er lacht und bemerkt: «Ich liebe Tabak, in meinem nächsten Video sollte ich vor grossen gefüllten Tabaksäcken posen, so wie es andere mit Gras tun.»

Denn Alen Saitovic, wie der 19-Jährige gelernte Stromer mit gebürtigem Namen heisst, ist Rapper. Der Name ist dabei Programm, DVW heisst nämlich übersetzt «Dä vo Wiedike». Im Stadtzürcher Untergrund ist er schon lange bekannt. Vor allem für seine authentischen Texte, welche über die Stadt selbst, ihre strukturellen Veränderungen, seine persönlichen Erlebnisse und den Fussballclub Zürich berichten.



Er orientiert sich an «Oldschool Hiphop», will heissen, dass die Beats, welche er mit seinem lyrischen Talent bestückt, ordentlich ballern und mit klassischen 808 Bausteinen (Bass, Snare, Kicks) den Kopf automatisch zum Nicken anregen. Doch nun bewegt sich seine Karriere in schnellem Tempo Richtung schweizweiter Bekanntheit. Der mittlerweile auf Spotify veröffentlichte Track «Züri City Baby» zählt schon über 75'000 Aufrufe.


Auch zusammen mit anderen bekannten Rappern wie dem Adliswiler «Rapide» veröffentlicht DVW Tracks. «Wieso Kopfnicker?», «Bunti Farbe» (feat. PISKO) oder «Die Gägend» decken nur einen kleinen Bruchteil seiner musikalischen Karriere ab. Denn bevor über 5000 Personen monatlich regelmässig seine Tracks auf Spotify hörten, rappte DVW schon lange für seine Stadt und sein Quartier. Damals noch auf Youtube. Ich kenne Alen schon lange. Ich stelle ihn euch gerne vor, denn wer ihn noch nicht kennt und sich für lokalen Rap interessiert, wird es bald.  

Auf die Frage, wie er zu Rap gefunden hat, antwortet DVW kurz und bündig: «Ich habe eine ältere Schwester (25), die mir schon von früh auf Schweizer Hiphop nähergebracht hat. Ich wuchs auf mit Musik von «Don Fuego», «Karizhma» und «Dirty Dog» (heute Onkel Ari), was mich sehr geprägt hat.»Durch einen Workshop von Dirty Dog in Zusammenarbeit mit der Jugendarbeit 4 (Jugi 4) kam DVW zum ersten Mal in Kontakt mit Aufnahmemöglichkeiten und gründete zusammen mit seinem Freund Pisko das Rapkollektiv «Quartiersound». Ab 2016 beginnen sie mit Aufnahmen aus dem Jugi 4 und später führen sie diese weiter in einem Studio, das die Offene Jugendarbeit Kreis 3&4 zur Verfügung stellte. Heute betreiben die Jungs ihr eigenes Studio, eingemietet im Jugendzentrum «Dynamo» am Limmatufer. In einer selbstgebauten Booth und mit zusammengespartem Equipment produzieren sie seit Anfang 2020 weiter Rapmusik.

Gleich zu Beginn des Gespräches sticht mir die eher enge Beziehung zu sozialen städtischen Jungendinstitutionen wie der «Offenen Jugendarbeit» oder die «Jugi» auf. Ich hake nach.

DVW erzählt über die Chancen, die zu seiner Zeit von diesen Institutionen verwirklicht wurden. «Man hatte immer einen Platz dort, egal, ob um in Ruhe Bewerbungen zu schreiben, Veranstaltungen mit Freunden zu organisieren oder einfach nur zu rauchen. Hatte ich Probleme Zuhause oder in der Schule, fand ich immer ein offenes Ohr bei den Leitern und Betreuern. Mit den Jugendarbeitern hatte man ein sehr gutes Verhältnis, fast schon kollegial. Und dennoch nahm man ihre Autorität und den dazu mitgelieferten Rat ernst und gerne an. Bei wichtigen Entscheidungen konnte man sein Handeln gemeinsam reflektieren, ohne dafür verurteilt zu werden. Das war sehr fresh und wertvoll.» DVW lacht und merkt mit einem verschmitzten Lächeln an, «früher wollte ich aufgrund meiner positiven Erfahrungen sogar selbst Sozialarbeiter werden».


Ich möchte wissen, wie DVW seine Jugend, konkreter das Aufwachsen in den Stadtkreisen 3 und 4 erlebte und inwiefern er selbst und vor allem seine Musik dadurch geprägt wurden.

Als DVW 5 Jahre alt war, zog Alens Familie in eine ABZ Genossenschaftswohnung in der Nähe des Goldbrunnenplatzes, wo sie seit 15 Jahren lebt. Das Quartier habe ihn nie mit Samthandschuhen angefasst, er lernte früh einzustecken und für seine Worte und Taten gerade zu stehen. Dafür sei der Zusammenhalt unter den Bewohnern und Bewohnerinnen in einem Arbeiterquartier sehr gross, unabhängig von Staatsangehörigkeit oder Glaube. «Als Shippi habe ich mich hier nie ausgeschlossen gefühlt, höchstens vielleicht bei Konfrontation mit den Bullen fiel ab und zu eine Bemerkung über den mit -vic endenden Namen. Strukturellen Rassismus habe ich aber aufgrund der bereits enorm bestehenden Diversität nie erleben müssen.», führt er aus. Der Zusammenhalt im Quartier habe sich nie durch die Nationalität definiert.


Er erzählt mir auch stolz von einer gewissermassen eigenen Sprache, einem Slang, der von allen gleich ausgesprochen wird und die ethnischen Hintergründe verschwinden lasse.

Funktionierende Multikulturalität. Nach kurzem Überlegen und einem tiefen Zug an der selbst gestopften Zigarette verkündet er: «Ich würde eh nie wegziehen, im schlimmsten Fall zahle ich eine Miete über 4000 Franken, wenn es denn sein muss. Ich bleibe hier.»

Geschichten aus der «Hood» hat er viele auf Lager. Er erzählt mir von jugendlichen Dummheiten über die er heute lacht. «Ich bereue nichts», betont er als wir über zivilen Ungehorsam und kleinere Verbotsmissachtungen sprechen. Kleinkriminalität als Bestandteil der städtischen Erziehung in gesundem Masse. Dass Kriminalität im Quartier als Bestandteil auswegloser Lebenslagen bestünde, verneint erdeutlich.

DVW’s Liebe zum Quartier spiegelt sich in seiner Rap-Musik wider. Von Lines wie «Züri für dich läbi, für dich stirbi» über «trozdem lieb ich ufzwache i dere chline Grossstadt, ich bin da ufgwachse und sie het mich au da gross gmacht» zu «ich chill wieder i mim Block, bis die Sunne wieder ufgaht». Doch DVW spricht ab und zu auch politische Themen an. Die meisten drehen sich um strukturelle (schnelle) Veränderungen des Stadtbildes.

Allgemein politisch will er sich dennoch nicht präsentieren. «Politisch beziehe ich mich in meiner Kunst nur auf Themen, welche mich und die Stadt direkt betreffen.»

Die Rede ist von der schnell fortschreitenden Gentrifizierung und der damit verbundenen Wohnungsknappheit und Verdrängung der unteren Mittelschicht aus den zentralsten Stadtkreisen. «Dieser Vorgang stresst», meint DVW.

Im Lied «Mir blibed da», eines seiner frühen Werke, finde ich eine treffend beschreibende Stelle: «D’Stadt isch am Wachse, es wird immer dichter, wer sind die Lüt, es sind neui Gsichter. Yuppies, Szenis und Studente, meh Dealer und meh Konsumente.»

Auf meine Frage, ob DVW selbst diese Veränderungen beobachten kann, antwortet er: «Ja, die Gentrifizierung sieht man. Ich sehe es bei Freunden, die ihre Wohnung aufgeben mussten, weil sie sich nach Renovationen die Mietzinsen nicht mehr leisten konnten. Man merkt ja auch, wie die Langstrasse heute aussieht. Oder wie der 1. Mai (wenn überhaupt noch) gefeiert wird. In meinem Rap kritisiere ich den Gentrifizierungsvorgang im Allgemeinen und das werde ich auch in den kommenden Liedern.»

Mit der restlichen Stadt verbindet DVW eine «Stadtkindermentalität» und die Liebe zum städtischen Fussballclub, dem FC Zürich. Letzterer ist in seinem Leben präsent und auch allgegenwärtig in seinen Liedern. Ich bitte ihn, seine Faszination und Liebe zum Fussball zu erklären.

Seine Antwort fällt klar aus: «Jemandem ein Gefühl zu erklären, welches er selbst noch nie erlebt hat oder nie erleben wird, ist beinahe unmöglich. Das schönste und faszinierendste für mich ist der Zusammenhalt, die Loyalität, und die Unterstützung in schweren Zeiten, auf welche man sich immer verlassen kann. Für 90 Minuten sind alle gleich. Ich würde es gar nicht erst versuchen diese Faszination jemandem zu erklären. Komm an ein Spiel und sieh für dich selbst.»


DVW’s Ziel war es nach eigenen Angaben nie, mit der Musik Geld zu verdienen. Mithilfe neuer Plattformen wie Spotify sei es nun aber möglich, auch auf eigene Faust etwas Geld zu verdienen, ohne einen Major-Label Deal im Rücken zu haben. Das verdiente Geld wird jedoch sofort wieder in zukünftige Projekte und die eigene Musik investiert, führt er aus. Mit neuem Equipment sei es möglich, viel mehr Bestandteile der Musik, einzelne Teilglieder in der Produktion wie Beatmaking oder Mixing selbst zu realisieren und konstant an den neugewonnenen Erfahrungen zu wachsen. Im Vertrieb der Musik, wie auch der Repräsentation gegen Aussen will er unabhängig bleiben, denn schliesslich mache er die Musik in erster Linie für sich selbst.

Auch seiner Art des Raps bleibt er treu. Auf meine Frage, was er das Schönste an seiner Kunstform finde antwortet er: «Neben der Lyrik ist es das Erzählen meiner eigenen Geschichte und meiner Erlebnisse, für Menschen, welche sich damit identifizieren können und sich verstanden fühlen. Wenn jemand durch meine Musik eine etwas andere, etwas positivere Perspektive sehen kann, freut mich das. Die Musik mache ich aber für mich selbst und die Verarbeitung eigener Erlebnisse, ich mache ja keine Propaganda nur damit sich andere besser fühlen.»

Rap öffne zudem einen Zugang zu sich selbst und bringe Disziplin in sein Leben.

«Man erschafft ein Werk, an welchem man sich manchmal lange quält, tausende Aufnahmen tätigt, bis es sitzt. Der Stolz beim Blick auf ein abgeschlossenes Projekt, gibt einem einen Ego Push und fördert sicherlich auch das Selbstwertgefühl. Ich mache einfach das, was ich mache und orientiere mich nicht an Streamzahlen oder Release-Strategien. Der Plan war immer Musik zu machen, für mich und mein Umfeld.»

Bezüglich Features zeigt sich der Rapper aus Wiedikon offen: «Mit gleichgesinnten talentierten und meiner subjektiven Meinung nach interessanten Musikern arbeite ich gerne zusammen. Eines meiner neueren Features ist der Rapper Rapide. Auch mit Pisko, mit dem ich seit jeher zusammenarbeite, werde ich wahrscheinlich mein ganzes Leben lang Musik machen.»

Zum Abschluss möchte ich von DVW wissen, wo er die Kunstform des Schweizerraps in der Zukunft sieht und ob die eher kommerzielle Entwicklung ihn ihm Besorgnis oder Hoffnung auslöst.

Er selbst mache am liebsten Oldschool, immer noch, erzählt er. «Damit bin ich aufgewachsen und das hat mich geprägt. Mit gewinnorientierter New-School wie DaBaby oder wie sie alle heissen, kann ich mich nicht identifizieren!» Er erzählt jedoch von neuen Strömungen in der Rapmusik, die ihn sehr interessieren. Konkret sieht er aufstrebendes Potenzial in der Drill-Szene. Daran möchte und wird er sich in nächster Zeit auch beteiligen.

Schweizerrap bekommt DVWs Meinung nach nicht die Aufmerksamkeit, die er verdient hätte. Doch sieht er eine positivere Entwicklung. «Ich kenne viele Leute, die früher kein CH-Rap gehört haben, die es aber jetzt tun. CH-Rap wird mit anderen Augen gesehen seit beispielsweise Xen und Eaz mit ihrem Oldschool Hiphop viral gegangen sind und den schweizerischen Dialekt auch bis nach Deutschland gebracht haben.»

Er fügt an: «Was mir Sorgen bereitet ist, dass so viele Michis rappen. Aber das betrifft mich oder die Entwicklung im Allgemeinen ja nicht, sondern ich sage meine Meinung offen, wenn mich etwas stört, vielleicht hören die betroffenen Personen dadurch ja auf zu rappen(lacht).»

DVW, Alen Saitovic ist Bilderbuchzürcher, Oldschoolrapper, ZüriFan und Musikenthusiast.


Alle links zur DVWs Musik findet ihr unten.

Artikel von Lino Kalt

DVW Spotify:

https://open.spotify.com/artist/3r6pW4JcxTylJ4CXqCr8kM

DVW Instagram:

https://www.instagram.com/dvw_offiziell/?igshid=6vzkc4jepsjw&hl=de


Bilder von:

https://www.instagram.com/hood.scapes/?hl=de



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